Offener Brief an den DGB: Zukunft, Grundeinkommen, und die Rolle der Gewerkschaften

Zu diesem Brief ein paar wichtige Anmerkungen:

Diesen Brief habe ich geschrieben als ich noch NRW-Vorsitzender der Partei der Humanisten war. Mittlerweile bin ich kein Mitglied dieser Partei mehr und distanziere mich deutlich von dem, was aus ihr geworden ist.

In der Hoffnung damit etwas mediale Aufmerksamkeit auf uns lenken zu können habe ich den Brief damals in meiner Funktion als Vorsitzender unterzeichnet – Der Inhalt ist jedoch allein meiner und entstand unabhängig von meinem Engagement in der Partei.

Anlass für diesen Brief war ein Beitrag der Tagesschau, indem sich Gewerkschaftschef Reiner Hoffmann mit starken Worten gegen die Idee eines Grundeinkommens positionierte.

Meine handschriftliche Signatur habe ich aus Sicherheitsgründen aus dem Dokument entfernt.

Die Antwort des DGB-Bundesvorsitzenden Reiner Hoffmann findet sich hinter diesem Link.


Deutscher Gewerkschaftsbund
Bundesvorstand
Henriette-Herz-Platz 2
10178 Berlin

04.Mai 2018

Offener Brief: Zukunft, Grundeinkommen, und die Rolle der Gewerkschaften

Sehr geehrter Vorstand,

Seit ich arbeite bin ich Gewerkschaftsmitglied, aus Überzeugung. Ich halte organisierte Arbeitnehmervertretung für nahezu unvergleichlich wichtig. Ich bin dankbar für die Errungenschaften des deutschen Arbeitsrechtes, für Tarifverträge und für die Rechtsberatung, die mir bereits mehrfach mit Rat und Tat zur Seite stand.

Dennoch bekommt meine Mitgliedschaft in letzter Zeit für mich einen zunehmend bitteren Beigeschmack. Denn immer mehr wird mir klar dass die Weltsicht der Gewerkschaften von einer verklärten Arbeiterromantik und einem fast schon an die CSU erinnernden Wertekonservatismus geprägt ist: Arbeit wird als heiliger Selbstzweck gesehen. Ein Mensch ohne Arbeit ist nichts.

Im Weltbild der Gewerkschaften kommt es schon mal vor dass die Energiewende schlecht ist, weil sie dazu führt dass die Kumpel im Bergbau um ihre Jobs bangen müssen. Arbeitslosigkeit zu bekämpfen indem man nach skandinavischem Vorbild die Wochenarbeitszeit von 40 auf 30 Stunden reduziert wird als völlig undenkbar hingestellt, fast schon als Diebstahl: Nehmt mir nicht die wertvollen Stunden weg, die ich fremdbestimmt für die Projekte Anderer schuften darf!

Fast jede Ausgabe der Gewerkschaftszeitungen beschäftigt sich mit dem Thema Digitalisierung, doch konstruktive Ansätze suche ich vergebens. Wie ein Mantra wird nur ständig wiederholt, dass die Digitalisierung nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen führen dürfe. „Dürfe“ als sei dies etwas optionales, ein verhandelbarer Punkt auf irgendeiner Tagesordnung. Dabei ist es eine Konsequenz dessen, dass sich das Wesen der Arbeit selbst verändern wird.

Was die Autoren nicht zu verstehen scheinen: Die Zukunft der Automatisierung ist bereits da. Das Telefon des Chefs schaltet sich während eines Meetings von selbst auf Stumm, Autos fahren von alleine mit besserer Unfallquote als jeder Mensch und warten nur noch auf die Anpassung der Gesetze, um die Straßen der Welt zu erobern.

Und diese Technologisierung betrifft nicht nur die Büroassistenz und LKW-Fahrer: IBM baut mit „Watson“ eine Künstliche Intelligenz (KI), die unter anderem wissenschaftliche Literatur durchforstet um bei komplizierten Lungenkrebs-Diagnosen zu helfen [1]. In einer japanischen Firma hat diese KI im Rahmen eines Pilotprojektes bereits über 30 Sachbearbeiter einer Versicherung ersetzt [2]. Eine andere KI ist auf juristische Rechtsprechung ausgelegt. In einer Studie kam dieser Algorithmus bereits 2016 in rund 80% der Fälle zu dem gleichen Urteil wie das echte Gericht [3].

Solch eine KI ist noch nicht fähig den Job eines Richters zu übernehmen, aber wie lange wird man mit dem ersten Staatsexamen in Jura wohl noch einen Job als Anwaltsgehilfe finden? Wie lange wird es hauptsächlich verwaltende und organisierende Berufsbilder wie Bürokaufleute noch geben?

Angesichts dieser Veränderungen ist es kein realistisches Ziel mehr, die Arbeitslosenquote so gering wie möglich halten zu wollen. Auch höhere Qualifizierung bietet keinen unbegrenzten Schutz, denn die Technologie wird schneller voranschreiten als wir uns weiterbilden können. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir einer Zukunft entgegenblicken in der 30% der Bevölkerung ohne klassische Erwerbsarbeit da stehen. Und dass diese Zahl eher wachsen als schrumpfen wird. Wie wir als Gesellschaft damit umgehen sollen, dafür brauchen wir neue Konzepte.

Der Begriff der „Arbeitslosigkeit“ verwischt zwei unterschiedliche Konzepte: Zum einen die Erwerbslosigkeit und die damit verbundene Existenzangst, zum anderen die Freiheit von fremdbestimmter Arbeit, die eigentlich etwas Positives ist.

Darin liegt auch der Denkfehler vieler Kritiker des Grundeinkommens: Sie glauben der Wegfall von Lohnarbeit verdamme Menschen zur Untätigkeit. Dabei hindert Erwerbslosigkeit niemanden daran zu arbeiten: Arbeiten für die Gesellschaft im Ehrenamt, Arbeiten für sich selbst im Rahmen eigener Projekte, Arbeiten an sich selbst durch freie Bildung.

Ich bin gelernter Laborant, doch wie gerne würde ich Philosophie studieren, einfach um meinen Horizont zu erweitern. Heute ist das für mich finanziell undenkbar, doch mit einem Grundeinkommen wäre solch eine Lebensentscheidung problemlos möglich.

Google war in jungen Jahren berühmt dafür, ihren Mitarbeitern 20% der Arbeitszeit für die Arbeit an privaten Projekten und Ideen zu schenken. Diese Erfolgsgeschichte veranschaulicht was geschehen kann, wenn man Fremdbestimmung aus dem Arbeitskontext entfernt und es den Leuten selbst überlässt, woran sie arbeiten wollen – Durch diese „Innovation Time“ Regelung entstanden unter Anderem Flagschiff-Produkte wie Gmail und AdSense [4].

Aktuell genießen nur Millionärserben eine derart “bedingungslose” Freiheit zur Selbstverwirklichung, wie sie ein Grundeinkommen bieten würde. Im Falle der reichen Töchter und Söhne scheint kaum jemand zu befürchten dass diese Freiheit unmotivierte Stubenhocker hervorbringt – Welche Gründe gibt es dafür, anzunehmen dass Arbeiter prinzipiell unfähig sind mit solcher Freiheit umzugehen? Wenn es uns gelingt den technologischen Wandel zum Wohl der Allgemeinheit zu nutzen stünde es jedem offen sich frei von existenziellen Ängsten selbst zu verwirklichen. Ist das nicht ein Ziel, auf das hinzuarbeiten es sich lohnt?

Doch damit das gelingt brauchen wir aktive Gestalter, die in diesem Umschwung im Interesse der wirtschaftlich Schwächeren agieren. Nichts hilft den Arbeitern von heute weniger, als krampfhaft an alten Strukturen festzuhalten, angesichts der fortschreitenden Technologisierung Panik zu schüren und laut gegen einen Wandel zu protestieren, der bereits in vollem Gange ist.

Was die Digitalisierung für den Arbeitsmarkt bedeuten kann lässt sich abschätzen, wenn man sich die Geschichte der Industriellen Revolution [5] ansieht. Damals wurden ganze Berufszweige plötzlich obsolet, ersetzt durch Erfindungen wie die Dampfmaschine und den mechanischen Webstuhl. Damit die Folgen des Übergangs diesmal aber weniger verheerend ausfallen brauchen die Arbeiter von heute eine moderne Interessenvertretung.

Den Blick fest in die Vergangenheit gerichtet, manövrieren sich die Gewerkschaften zielsicher in die Bedeutungslosigkeit. Das ist fatal, denn diese Arbeitsverweigerung der Gewerkschaften bedeutet, dass die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes von denjenigen organisiert und gestaltet werden wird, denen andere Interessen als gesellschaftliche Stabilität und das Wohl der Arbeitnehmer am Herzen liegen.

Liebe Gewerkschaften, wir brauchen euch. Wir brauchen euch nicht als Museum alter Ideen und als müde Beschützer eines bald überholten Gesellschaftsmodells, sondern als Kreativschmiede neuer Konzepte und proaktive Gestalter des Wandels. Wir brauchen euch als Organisationen die mit am Tisch sitzen, wenn über unser aller Zukunft entschieden wird – Nicht als Demonstranten die mit Bannern und Fähnchen vor der Tür protestieren, während drinnen die Entscheidungen von Anderen getroffen werden.

Die Arbeitswelt verändert sich. Der kommende Wandel droht einen Großteil der Arbeiter auf der Strecke zu lassen, wenn ihre stärksten Interessenvertreter nicht langsam aufwachen. Bitte lassen Sie das nicht zu.

Hochachtungsvoll,

Philipp Grunwald
Vorstandsvorsitzender
Partei der Humanisten Nordrhein-Westfalen

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Watson_(K%C3%BCnstliche_Intelligenz)    
[2] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/versicherung-in-japan-statt-angestellten-rechnen  
[3] http://www.bbc.com/news/technology-37727387         
[4] https://www.nytimes.com/2007/10/21/jobs/21pre.html             
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Industrielle_Revolution

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