Zu kaum etwas wird derzeit so viel geschrieben wie den berüchtigten Klimaleugnern: Wer sind sie, woher kommen sie? Wie bieten wir Paroli auf ihre Stammtischparolen? Was sind ihre Argumente und wie entkräftigt man sie am besten? In meinem Alltagsleben habe ich jedoch den Eindruck das diese Argumente gar nicht das Problem sind. Das, was mir regelmäßig entgegnet wird und bei dem ich dastehe wie der Ochs vorm Berg ist eine Variation von Folgendem:
Klimawandel ist halt die aktuelle Sau die durchs Dorf gepeitscht wird, das vergeht wieder. In den 90ern war es das Ozonloch oder der Saure Regen – war am Ende auch kein Weltuntergang, dat wird sich alles schon richten.
Herbert Mustermann, 56, Bauingenieur für Trauschlösser
So oder anders formuliert ist diese wohlstandsgesättigte Passivität das, was ich als am weitesten verbreitet sehe und die ich gleichzeitig als am schwierigsten zu beantworten empfinde.
Solche Relativierungen werden nicht hervorgebracht von bedeutungslosen Hobby-Alkoholikern am Stammtisch nebenan – sondern von Menschen, die in der FAZ Artikel schreiben oder im Bundestag Reden schwingen, in denen sie mit Überzeugung und polierter Rhetorik behaupten dass der Klimaschutz selbstverständlich wichtig sei, aber doch nicht so wichtig das man dafür Arbeitsplätze riskieren dürfe. Solche Menschen glauben ernsthaft, dass es sich bei der Klima-Panik um Hysterie handelt. Sie hören Greta Thunbergs „ihr habt uns die Zukunft gestohlen“, und sehen darin nur grotesk übertriebene und manipulativ-emotionale Rhetorik. Sie halten sich selbst für ruhig und rational, für die vernünftigen Erwachsenen in einem Raum voller Kinder. Sie halten sich selbst für diejenigen, welche die Situation als einzige richtig einschätzen können und die Verantwortungsvoll handeln weil sie eben nicht „in blinde Panik verfallen“ sondern Verantwortungsvoll über die Folgen der Politik nachdenken und auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes im Auge behalten, welche sie durch „Aktionismus und Wählerfang“ ernsthaft gefährdet sehen.
Ich bin 1987 geboren. Und ich erinnere mich noch lebhaft an die Medienberichte zu Ozonloch und Waldsterben, die sich in meiner Erinnerung tatsächlich ähnlicher Weltuntergangs-Sprache bedienten wie die heutigen Artikel über den Klimawandel. Und auch daran, dass diese dramatischen Probleme damals doch irgendwie durch relativ kleine Maßnahmen erfolgreich gelöst wurden: Verbot von FCKW, neue Autos nur noch mit Katalysator – Die Fabriken mussten nur ein neues Gas verwenden, die alten Autos mussten nicht einmal aus dem Verkehr gezogen werden, sie konnten einfach weiterfahren – und trotzdem hat es gereicht. Die deutschen Wälder sind wieder (relativ) gesund, das Ozonloch schon in Vergessenheit. Wirklich Opfer bringen musste niemand. Was bleibt ist eine mittlerweile tief verankerte Lernerfahrung: Weltuntergang ist meistens doch am Ende gar nicht so schlimm.
Wenn Medienkompetenz zu Ignoranz wird
Ich habe Rinderwahn und Vogelgrippe überlebt, ich überlebe auch den Klimawandel.
Dr. Sabine Boomer, 52, Chefärztin für Urologie am St. Ausgedacht Hospital
Ich kann es den Relativierern nicht einmal wirklich krumm nehmen, dass sie diese Erfahrungen auf die heutige Situation übertragen – Ihr Urteil wäre bei allen anderen Themen gut und richtig. Wir alle wissen, dass Schlagzeilen eigentlich immer Übertreibungen sind. Wir alle wissen, dass grade Printmedien unter enormem Verkaufsdruck stehen und nahezu jedes Thema gnadenlos aufpeitschen. Diese dramatisierten Meldungen nicht ernst zu nehmen gehört zu der gesunden Medienkompetenz moderner Erwachsener.
Nur sehr wenige Menschen verfügen zusätzlich über „scientific literacy“, also die Fähigkeit und Kompetenz, wissenschaftliche Meldungen richtig einzuordnen. Die von Wissenschaftlern benutzte Sprache zu verstehen sowie die Zuverlässigkeit der jeweiligen Publikationen korrekt zu beurteilen erfordert einen hohen Bildungsstand und akademische Erfahrung.
Noch dazu ist Klimawissenschaft ein komplexes Gebiet, das es selbst Menschen mit diesen seltenen Kompetenzen fast unmöglich macht, überzeugend für die Seite der Klima-Schützer zu Argumentieren. Ich merke das an mir selbst: Wie soll ich jemandem Erklären das der „Point of no return“ beim Klimawandel wirklich ein Point of NO RETURN ist? Trotz meiner (relativen) Kompetenz im Lesen wissenschaftlicher Texte verstehe ich es ja selbst nicht wirklich. Mein eigenes Urteil basiert nicht auf Rohdaten, sondern nur den überwältigenden wissenschaftlichen Konsens dazu. Zum Argumentieren mit Dritten reicht das nicht. Welches Mitglied der Grünen kennt sich mit Klimawissenschaft so gut und detailliert aus, und verfügt gleichzeitig über die rhetorische Stärke, um einen Lindner oder einen Seehofer überzeugen zu können?
Die Lindners und die Seehofers überzeugen
Aber die Lindners und die Seehofers dieser Welt sind genau jene, die überzeugt werden müssen. Denn sie sind es, welche die Artikel schreiben und in den Chefetagen der Firmen, Vorstände, und der Politik die Entscheidungen treffen. Sie sind es, welche die Macht haben effektive Maßnahmen zu ergreifen oder andere dazu zu bewegen es zu tun. Doch wie erreicht man diese Menschen? Wie kann man sich selbst als einen der „Hysteriker“ bekennen und trotzdem jemanden überzeugen, der seine Position genau darüber definiert, die Fakten so wie sie der Gesellschaft dargelegt werden, nicht für voll zu nehmen?
Um es zusammenzufassen: Das eigentliche Problem sind nicht die Klimaleugner, sondern die Klimarelativierer. Letztere Relativieren den Klimawandel deshalb, weil sie in der Vergangenheit konkrete Lernerfahrungen gemacht haben, aus denen sie nun folgern, dass Berichte über Krisen prinzipiell(!) nicht ernst zu nehmen sind. Diese Einstellung sehen sie selbst als schwer gewonnene Weisheit, die zudem eine seltene Eigenschaft ist. Das hat zufolge das alle, die eine Krise ernst nehmen, sich in den Augen der Relativierer sofort selbst demontieren: Das Ernstnehmen einer Krise gilt hier als direkter Beweis der eigenen Unreife, denn es bedeutet das die Person „auf die Hysterie hereingefallen“ ist, weil sie noch nicht genug Lebenserfahrung hat um die gleiche Weisheit wie der Relativierer erlangt zu haben. Die Menge an psychologischen Faktoren die hier zusammenfinden wäre einen eigenen Artikel wert. Das Grundproblem ist, das es hier essentiell nicht um Argumente geht, sondern um eine emotionale Grundhaltung die von den Ereignissen der letzten drei Jahrzehnte geprägt und gefestigt wurde.
Ein Lösungsversuch
Ich bin der Überzeugung das Kritik immer konstruktiv sein sollte. Und konstruktiv sein kann in diesem Fall nur eine ausführliche Aufarbeitung der Vergangenheit in Relation zur aktuellen Krise.
Die oben wiedergegebenen Argumentationsweisen der Relativierer sind mir an vielerlei Stelle begegnet: Professoren, Studenten, Konservative, Linke, junge und von alte Menschen, arme und von wohlhabende Leute, politisch informierte Menschen und von desinteressierte Nichtwähler. Sie alle nennen die immer gleichen Beispiele von überstandenen am-Ende-gar-nicht-so-schlimm-Katastrophen, die zu ihren emotionalen Lernerfahrungen geführt haben, und auf denen letztendlich die Überzeugung gründet das irgendwie doch alles immer gut ausgehen wird:
- Ozonloch.
- Waldsterben.
- Saurer Regen.
- Rinderwahn, Geflügelgrippe, Schweinepest.
Das war’s auch schon.
Das ist eine überschaubare Anzahl an Ereignissen, und das bedeutet das es möglich ist sie sauber zu recherchieren und aufzuarbeiten. Welche Risiken waren damals schon im Voraus absehbar, wann wurden sie erkannt, wie wurden diese Risiken kommuniziert, wie groß war das mediale Echo, wie groß die gesellschaftliche Hysterie, welche Maßnahmen wurden zu welchem Zeitpunkt ergriffen? Welche durch Zwang, welche Freiwillig? Vor Allem: Gab es jeweils einen Point of no Return, und wie weit war dieser entfernt als die ersten Maßnahmen ergriffen wurden? Warum waren diese Maßnahmen effizient genug das Problem abzuwenden, ohne das jemals einschneidende Opfer von der Bevölkerung nötig waren? Es ist ein riesiger Haufen Arbeit, aber es ist nicht unmöglich.
Das Ziel ist, die Entscheidungsträger zu motivieren ihre eigenen Lernerfahrungen im Lichte neuer Informationen neu zu bewerten. Das lässt sich nicht erreichen, in dem man über Klimaleugner herzieht.