Ich bin kein Kirchenkritiker

Menschen wie ich werden immer wieder als „Kirchenkritiker“ bezeichnet. Das ist ein fundamentales Missverständnis. Was ich kritisiere ist unabhängig von den Kirchen und ihren Strukturen: Was ich kritisiere ist der Staat.

Ich bewege mich seit fast 20 Jahren in der Humanistischen/Atheistischen/Säkularen/Laizistischen Szene, und ich kenne niemanden dem es wirklich ein Anliegen wäre, die Kirchen zu ändern. Niemand von uns erwartet, das sie Kirchen jemals zu einer progressiven Kraft werden; niemand erwartet oder erhofft ernsthaft Reformen, die über Gesten, über das absolute Minimum hinaus gehen.

Die meisten religionsfreien, „kirchenkritischen“ Menschen erkennen die Kirchen sogar als legitime Interessengemeinschaften an. Auch das diese Gemeinschaften politisch für ihre Interessen eintreten nimmt ihnen kaum jemand krumm. Wir wollen nicht in die Kirchen eingreifen, wir wollen sie nicht ändern, wir wollen sie auch nicht zerstören.

Was ich wirklich kritisiere ist das völlig disproportionale Gehör, das der Staat den Kirchen schenkt. Wir haben 2020: Die Mitgliederzahlen der Kirchen sinken seit Jahren rapide, und von den verbleibenden Mitgliedern sind die meisten nur Papierchristen – In die Kirche geht kaum noch jemand. Konfessionsfreie Menschen stellen die größte weltanschauliche Bevölkerungsgruppe. Trotzdem sind staatliche Positionen zu Themen wie Sterbehilfe oder dem „Abtreibungsparagraphen“ §219a dominiert von religiös-fundamentalistischen Positionen.

Der Staat zieht sich aus seinen sozialen Verpflichtungen zurück, baut kaum noch Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser, bläst aber gleichzeitig den beiden Kirchen 20,6 Milliarden Euro jährlich an Staatsleistungen sowie direkten und indirekten Subventionen in den Arsch. Wie enorm dieser Betrag ist wird erst deutlich wenn man ihn in Relation setzt: Es sind über 5% des Bundeshaushaltes 2019. Es sind satte zwei Milliarden Euro mehr, als die rund 18 Milliarden die dieses Jahr dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Verfügung standen.

Wie groß wirklich der Teil davon ist, den die Kirchen dann tatsächlich nutzen um die vom Staat vernachlässigten sozialen Aufgaben zu erfüllen, ist nicht bekannt. Doch selbst dort, wo die Kirche das wirklich tun ist es gekoppelt an Diskriminierung und hoffnungslos anachronistische Angestelltenverhältnisse. Arbeiter in kirchlichen Einrichtungen können aus „Loyalitätsgründen“ gefeuert werden: Dazu zählt es sich als Schwul zu outen, sich scheiden zu lassen, aus der Kirche auszutreten oder ähnliches. Die größten Errungenschaften des deutschen Arbeitsrechtes werden dort ausgehebelt. Betriebsräte gibt es nicht. Stellenausschreibungen fordern von Bewerbern oft ein Pfarramtliches Führungszeugnis. Das dies sowohl eine unrechtmäßige Verletzung der Privatsphäre (Religionszugehörigkeit geht einen Arbeitgeber nichts an) als auch eine grundgesetzwidrige Diskriminierung darstellt, scheint dabei nicht zu stören.

Es ist eine Sache, wenn eine Gemeinschaft religiöser Menschen mit ihren eigenen Ressourcen ein Geschäft betreibt, welches seine Mitarbeiter behandelt als hätten wir 1950. Dass dieses Verhalten jedoch vom Staat finanziert und explizit gefördert wird ist ein Skandal.

Ich erwarte nicht dass die Kirchen sich ändern. Ich erwarte das ein moderner Rechtsstaat sofort und selbstverständlich die Finanzierung solchen Verhaltens einstellt.

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